Kulturschaffen in der Region Engiadina Bassa / Val Müstair
Die Rolle von Kulturinstitutionen in Urbanisierungsprozessen im Alpenraum
Pascal Steinemann
Mit der Industrialisierung und dem Aufkommen des klassischen Alpentourismus äusserte sich auch die Sorge um eine unversehrte ‹Natur›. In diesem Geiste entstand Anfang des 20. Jahrhunderts, begleitet durch Elektrifizierung und Bahnerschliessung, auch der Schweizerische Nationalpark in der heutigen Region Engiadina Bassa / Val Müstair. Bis heute wirkt diese Unterschutzstellung auf das Verständnis der Region nach, so auch in vielfältiger Weise in den Kulturinstitutionen, die nach 1960 in der aus einer politisch-ökonomischen Perspektive ‹peripheren› Region entstanden. Dieses Spannungsfeld bildet der Ausgangspunkt dieser Masterarbeit am Geographischen Institut der Universität Zürich. Für die Arbeit wurden 14 Interviews mit Akteur:innen aus dem Umfeld von Kulturinstitutionen, Regionalwirtschaft, Tourismus und Gesellschaft geführt und in Kombination mit Dokumenten und Beobachtungen an Kulturveranstaltungen ausgewertet.
Mit der Entwicklung der Kulturinstitutionen kann der Urbanisierungsprozess der Region ab 1960 charakterisiert werden. Die mehr als 22 Museen, Theater, Konzertlokale und Kinos der Region entstanden in drei Phasen ab 1960 (Phase 1), ab der Eröffnung des Vereina-Tunnels (Phase 2) sowie in einer Phase der Stagnation ab 2011 (Phase 3). Heute bestehen die Institutionen als vielfältiges kulturelles Angebot nebeneinander. Dieser Wandel lässt sich anhand einer Vervielfältigung der Akteur:innen und der Kulturbegriffe sowie anhand des jeweiligen Verhältnisses zu Tourismus und Regionalentwicklung diskutieren. Über den Urbanisierungsprozess ergab sich die stärkere Einbindung in zunächst nationale, heute auch internationale Netzwerke. Die Vielfalt der alltäglichen Beziehungen zwischen Ortsansässigen, ‹Zweitheimischen›, Gästen und den Akteur:innen nahm zu. Die Rolle der einzelnen Kulturinstitution und ihr regionalwirtschaftliches Potenzial ist stark von einer subtilen Balance zwischen der Achtung des Vorbestehenden und Impulsen neuer kultureller Zentralitäten geprägt.