FOK-SNP promotes and coordinates research projects in the Swiss National Park, in the Regional Nature Park Val Müstair and in the conservation and development zone of the Engiadina Val Müstair Biosphere Reserve.more

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Nahrungsnetze im Schweizerischen Nationalpark

Von Produzenten, Konsumenten und Destruenten

Pflanzenfressende Tiere spielen in den Weide-Ökosystemen von Nationalparks eine zentrale Rolle. Während grosse Tiere wie Hirsche und Gämsen für eine hohe Biodiversität sorgen, halten kleine wirbellose Tiere wie Schnecken, Insekten und Fadenwürmer das Ökosystem am Laufen. Fehlen bestimmte Artengruppen, werden Nahrungsnetze und Nährstoffkreisläufe unterbrochen, das Zusammenspiel vielfältiger Lebensgemeinschaften zerfällt. Dies zeigen Forschende der WSL und des Schweizerischen Nationalparks in einem Fachbuch.

Nahrungsnetze im Schweizerischen Nationalpark

Martin Schütz, Anita Risch und Pia Anderwald fassen in dem Buch Erkenntnisse aus zwanzig Jahren Forschung zusammen. Diese entstanden in intensiver Zusammenarbeit der Forschungsgruppe Tier-Pflanzen-Interaktionen der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL mit dem Bereich Forschung und Geoinformation des Schweizerischen Nationalparks (SNP). Die zusammengetragenen Arbeiten zeigen beispielhaft, was in der Feldforschung mit einem interdisziplinären Ansatz möglich ist. An den Forschungsprojekten haben Spezialistinnen und Spezialisten verschiedenster Fachgebiete von Bodenchemie über Wildtier- und Pflanzenökologie bis zu Entomologie und Mikrobiologie aus mehr als zehn Ländern und vier Kontinenten aktiv mitgearbeitet.

Warum wirbellose Tiere auf Hirsche reagieren…

Ein Zusammenhang zwischen grossen Huftieren und kleinsten Würmern ist für viele Menschen nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Aus vielen Nationalparks ist bekannt, dass unter Huftieren grosse Konkurrenz herrscht, auch im Engadin. Dort verdrängen Rothirsche Gämsen auf schlechtere Äsungsflächen, aber auch Steinböcke spüren die Konkurrenz der Hirsche. Die Huftiere konkurrieren wiederum mit den zahlreichen pflanzenfressenden wirbellosen Tieren (Heuschrecken, Zikaden, Blattläuse, usw.), denn sie nehmen ihnen die Nahrung weg. Entfällt die Konkurrenz durch Hirsche und andere pflanzenfressende Säugetiere wie Gämsen, Steinböcke, Alpenmurmeltiere, Hasen und Mäuse, steht folglich für pflanzenfressende Wirbellose mehr Pflanzenmaterial zur Verfügung: Darum verdoppelte sich ihre Anzahl auf den SNP-Weiden nach dem experimentellen Ausschluss der Säugetiere. Aber nur die häufigsten wirbellosen Arten profitierten vom Ausschluss. Seltene Arten hingegen wurden noch seltener oder verschwanden ganz. Kein Wunder also, nahm die Vielfalt der Wirbellosen trotz höherer Anzahl ab.

... und die im Boden lebenden Fadenwürmer ebenfalls

unsere Haustiere oder Menschen von ihnen befallen werden, beispielsweise von den weissen, fadenartigen Spulwürmern. Schenkt man ihnen aber Beachtung, entdeckt man in den Böden der SNP-Weiden ausserordentlich artenreiche, stark vernetzte Nematoden-Gemeinschaften, die wichtige Funktionen erfüllen.

In den Böden der SNP-Weiden sind Nematoden ausserordentlich zahlreich, besonders, wenn Säugetiere ausgeschlossen werden. Auf intensiv von Hirschen genutzten Weiden fanden die Forschenden in jedem Gramm Boden im Durchschnitt 127 Nematoden. Fehlten die pflanzenfressenden Säugetiere - waren also nur noch wirbellose Pflanzenfresser vorhanden – nahm die Nematoden-Dichte beträchtlich zu.

Obwohl weniger Nematoden im Boden vorkamen, wenn alle Pflanzenfresser anwesend waren, war ihre Diversität deutlich grösser im Vergleich zu Weiden, auf denen die pflanzenfressenden Säugetiere fehlten. Nach deren Ausschluss profitierten offenbar einige wenige und häufige Nematoden vom grösseren Nahrungsangebot, und dies auf Kosten von eher seltenen Tieren. Bei vielen oberirdisch lebenden Gemeinschaften der Wirbellosen ist dies auch so.

Huftiere und Wirbellose spielen unterschiedliche Rollen

In naturnahen Ökosystemen bestehen gegenseitige Beziehungen zwischen allen Lebewesen und der unbelebten Umwelt. Huftiere sorgen im SNP für starke Interaktionen zwischen den verschiedenen Lebensgemeinschaften. Gleichzeitig sorgen sie auch für eine grössere Vielfalt innerhalb dieser Gemeinschaften. Wirbellose Tiere hingegen beeinflussen stark die Beziehungen zwischen den Lebensgemeinschaften und der unbelebten Umwelt. Sie sorgen für funktionierende Nährstoffkreisläufe und halten so die Ökosysteme am Laufen. Fehlen die Wirbellosen, werden die Nährstoffkreisläufe unterbrochen und die Ökosysteme funktionieren nicht mehr.

Die Resultate der Versuche zeigen, dass die verschiedenen Lebensgemeinschaften (Pflanzen, Pflanzenfresser, Springschwänze, Fadenwürmer, Bakterien, Pilze usw.) untereinander und mit der Umwelt gut vernetzt waren, unabhängig davon, ob Huftiere auf den Weiden vorhanden waren oder nur noch Wirbellose. Die Vernetzung war jedoch keinesfalls überall identisch. Und je stärker diese Vernetzung ist, desto besser funktionieren Weide-Ökosysteme. Da die Wirbellosen für besonders intensive Vernetzung sorgen, sind sie hauptverantwortlich für das Funktionieren der Weiden. Die Huftiere, die vor allem andere Lebensgemeinschaften beeinflussen, sorgen dort für hohe Artenvielfalt.

Text: Reinhard Lässig, WSL

Authors: Swiss Federal Institute for Forest, Snow and Landscape Research, Swiss National Park
Publishing house: Buchhandlung und Haupt Verlag AG
Pages: 158
Standard identifier: ISBN: 978-3-258-08131-1

  • Anita Risch (right) and Martin Schütz of WSL mapping plants on a mountain meadow in the Swiss National Park.
  • Die Larve des Wolfsmilchschwärmers kann bis zu acht Zentimeter lang werden. Im Hochsommer schlüpft aus der Puppe des Insekts der Schmetterling.
  • Bergweide im Schweizerischen Nationalpark mit einem der experimentellen Zäune.
  • Zaun-Experiment im Schweizerischen Nationalpark. Ein Zaunkomplex besteht aus Zäunen unterschiedlicher Grösse und Dichte. Jeder Zauntyp hält Tiere bestimmter Grössen davon ab, ins Innere eines Zauns einzudringen.
  • Rothirsche auf einer Bergweide im Schweizerischen Nationalpark.
  • Insekten ernähren sich von Pollen, die sie auf Blütenpflanzen finden
  • Anita Risch (right) and Martin Schütz of WSL mapping plants on a mountain meadow in the Swiss National Park.Image: Hans Lozza, SNP1/6
  • Die Larve des Wolfsmilchschwärmers kann bis zu acht Zentimeter lang werden. Im Hochsommer schlüpft aus der Puppe des Insekts der Schmetterling.Image: Hans Lozza, SNP2/6
  • Bergweide im Schweizerischen Nationalpark mit einem der experimentellen Zäune.Image: Hans Lozza, SNP3/6
  • Zaun-Experiment im Schweizerischen Nationalpark. Ein Zaunkomplex besteht aus Zäunen unterschiedlicher Grösse und Dichte. Jeder Zauntyp hält Tiere bestimmter Grössen davon ab, ins Innere eines Zauns einzudringen.Image: Hans Lozza, SNP4/6
  • Rothirsche auf einer Bergweide im Schweizerischen Nationalpark.Image: Hans Lozza, SNP5/6
  • Insekten ernähren sich von Pollen, die sie auf Blütenpflanzen findenImage: Hans Lozza, SNP6/6

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